Pleasure #137
*** Pleasure #137 is only available in German language ***
Läuft aber auch. Kaum kommt der Winter in Fahrt, schließen – ein weiteres Mal – die Grenzen. Österreich macht dicht und will die Gebiete ab 24. Dezember öffnen – allerdings nur für Einheimische. In Deutschland sollen die Gebiete vorerst bis Ende Januar geschlossen bleiben, heißt es momentan. Ob all das richtig ist? Ich hab keine Ahnung. Wie auch – bei all dem undurchsichtigen Chaos, das uns 2020 mal wieder vor die Füße würgt.
Im Gegensatz zu den „Querdenkern“ dieser Welt maße ich mir natürlich nicht an, tatsächlich beurteilen zu können, welche Lösung für die aktuelle Misere die beste ist. Ganz im Gegenteil. Ich bin heilfroh, aktuell nicht in den Schuhen der entscheidenden Politiker zu stecken. Gleichzeitig hat mich eine gesunde Skepsis gegenüber Autoritäten schon immer misstrauisch gegenüber eben jenen Politikern gemacht. Manchmal kommt es mir so vor, als würden viele ihrer Art aus einer Produktionsstätte der Gleichgeschalteten kommen, in der Ingenieure die Eigenschaften „Erfolg“ und „sozialen Aufstieg“ im Bauplan besonders gewichtet haben. Wie bei Pink Floyds „The Wall“ werden dabei scheinbar Zehnjährige vom Förderband ausgespuckt, die bereits wissen, wem sie aus strategischen Gründen zum Geburtstag gratulieren sollen, um ihr Networking zu optimieren und dadurch den Fuß auf die nächste Stufe der Karriereleiter setzen zu können. In dieser Fabrik werden unter anderem Charaktere mit langen Beinen und krummen Rücken geformt, perfekt, um gegen unten zu treten und gegen oben zu buckeln. Eine abstrakte Vorstellung? Ich schweife ab. Doch auch ich kann mitunter nicht vermeiden, dass mich die aktuelle Situation teilweise in den scheinbaren Wahnsinn zu treiben droht. Die Vorstellung, dass uns die Politik am Snowboarden hindert, scheint absurd. Trotzdem kommt jeweils die Vernunft und ein wenig Klarheit in den Kopf zurück. Es ist Snowboarden und alles was dazu gehört, das mir im echten Leben fehlt. Denn ausgerechnet diese Abneigung gegen Autoritäten und das daraus her- vorgehende Interesse an spannenden Charakteren hat mich überhaupt in die Welt des Snowboardens geführt. Mit vollster Überzeugung kann ich behaupten, dass Snowboarden der schönste Zeitvertreib ist, den ich bisher entdecken durfte. Kein Sport hat mich mehr fasziniert. Der Grund, warum Snowboarden für viele Menschen jedoch weit mehr einfach „nur“ ein Sport ist, sind die Menschen, die durch diese eigentlich so simple Aktivität eine komplexe neue Welt kreieren. Charaktere wie Chris Rasman, der sich seit Jahren mit seinen „Manboys“-Freunden, einer schier unfassbaren Menge an Airtime und einer mindestens genauso unglaublichen Arbeitsmoral eine Karriere bastelt, die auf Qualität statt Quantität basiert; mutige Frauen wie Spencer O’Brien, Léa Klaue oder auch unsere Kollegin Eileen Broadhead, die sich trauen, unangenehme Themen anzusprechen, um überfällige Diskussionen endlich auch öffentlich voranzutreiben; Freigeister wie Ben Dietermann, der mit einer Indie-Snowboardfirma seiner Leidenschaft treu bleibt und mit genau dieser Leidenschaft sowie den daraus resultierenden Produkten immer wieder neue Menschen in die eigene Community holt; Menschen wie Matze Keller, der zwar nur noch einen „Haxen“ hat, sich dadurch aber nicht vom Snowboarden abhalten lässt und das Bier generell weiterhin lieber halbvoll als halbleer sieht. Es sind diese Charaktere, die mich seit nun mehr 20 Jahren an die Welt fesseln, die durch unseren Sport kreiert wird.
Bleibt die Frage, wohin uns das bringt? Hoffentlich an einen Punkt, an dem auf temporäre Verzweiflung die nötige Vernunft folgt, selbst, wenn Gebiete notgedrungenermaßen erst etwas später öffnen. Es bleibt spannend – und der nächste Powdertag kommt bestimmt.
Viel Spaß mit Pleasure Ausgabe 137.
Stefan