Pleasure #135

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Mit unwiderstehlicher Kraft fährt der Herbststurm in die Kronen der Bäume am Seeufer. Noch rauscht der Wald, wenn jeder Windstoß die ersten verfärbten Blätter in den Himmel reißt. Es ist der Moment, an dem man weiß, dass der vergangene heiße Spätsommertag wohl der letzte des Jahres war, und im unaufhaltsamen Lauf der Jahreszeiten nun der Herbst Einzug halten wird. Das Grün des Sommers wird von der melancholischen Farbexplosion des Herbst abgelöst und schon bald werden sich auch die ersten weißen Schneeflocken auf die höher gelegenen Berggipfel herunter wagen, als Vorhut des Winters.

Es ist die Zeit, in der man die Nase in den Wind hält, um zu prüfen, ob man den angesagten Schnee in der kälteren Luft schon schmecken kann. Um sich auszumalen, wie wunderbar sich die ersten Zentimeter Neuschnee anfühlen werden – obwohl man die wärmenden Sonnenstrahlen eines goldenen Oktobernachmittags gerade noch ausgiebig genossen hat.

Die wilde Blüte des Sommers, langsam verwelkt und vertrocknet in der verlockenden Morbidität des Herbst, bevor sich der Winter mit seiner kalten Schönheit über die Landschaften legt, damit im Frühjahr wieder frisches, neues Leben sprießen kann. Die Jahreszeiten als Sinnbild für die Vergänglichkeit, den Neuanfang und den Zauber, der allen Phasen im Laufe der Zeit jeweils innewohnt, ist ein viel bemühtes Sujet.

Schlaue Touristiker haben in einer aufwendigen Studie zur Attraktivität des Wintersports sogar herausgefunden, dass moderne Menschen aus städtischen Metropol-Umfeldern mit aufgeheizten Städten und klimatisierten Innenräumen den Verlust der spürbaren Jahreszeiten so vermissen, dass sie das Gefühl von eisiger Luft auf der Haut im Winterurlaub glücklich macht – sofern sie sich danach mit ihren Lieben ganz archaisch um das wärmende Lagerfeuer des modernen Großstädters, den offenen Hotelkamin, scharen können. Noch beruhigender für die aufgewühlte Seele des social-media-geschädigten Stadtbewohners ist jedoch eine geschlossene Schneedecke, die alle verwirrenden, chaotischen und vielleicht sogar

schmutzigen Oberflächen-Strukturen unter einen unbefleckten Teppich aus glitzernden Eis-Kristallen kehrt. Im besten Fall sorgt nächtlicher Neuschnee sogar dafür, dass ein ständiger Auto-Reset der Unversehrtheit alle Gedanken an die Komplexität der Welt und ihre Alltagsherausforderungen unter dem heiligen weißen Mantel der Stillen Nacht begräbt. Und nur tief verschneite Tannen werfen ihren Schatten im glitzernden Mondlicht auf die friedlichen Spuren von Fuchs und Hase.

In diesem verrückten Jahr 2020 wurde uns allen klar, dass es keine einfachen Antworten auf komplexe Fragen gibt. Algorithmen bestimmen unsere Wahrnehmung der Welt, schaffen Info-Bubbles, die uns in vermeintlichen Wahrheiten einlullen und statt wahrhaft aufzuklären, schier unüberwindliche Gräben aufreißen. Die Bereitschaft zur Veränderung der eigenen Gewohnheiten; das Überdenken der eigenen Standpunkte; das Verlassen der eigenen Komfortzonen könnte der Brückenschlag sein, um so den einen oder anderen Graben zu überwinden und damit Raum zu schaffen, in dem Neues, Besseres, Zeitgemäßes entstehen kann.

P.S. Dies ist die erste Pleasure-Ausgabe, die unser geschätzter Kollege Stefan Götschl komplett als Chefredakteur mit seinem Team verantwortet. Und nach über 23 Jahren die letzte, in der ich das Intro verfasst habe. It’s been an awesome ride.

Bene

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